Friedrich
straße
autofrei

Prozess­analyse Friedrich­straße

Dirk Heider, Sofia Helfrich, Jill Theobald


Einleitung

Das Modellprojekt autofreie Friedrichstraße startete am 29. August 2020. Während der Verkehrsversuch zunächst für fünf Monate bis Ende Januar 2021 angesetzt ist, startete der Aushandlungsprozess zur autofreien Friedrichstraße bereits einige Jahre zuvor. Um das Projekt näher zu durchdringen, analysieren wir den vorangegangenen Prozess, der die Umsetzung des Verkehrsversuchs ermöglichte. Ausgehend von der übergeordneten Fragestellung „Wer macht Stadt?“ ist das Ziel, mittels einer umfassenden Medienrecherche sowie qualitativen Interviews mit den beteiligten Akteuren, den Prozess als auch die Akteure und deren Beweggründe zu verstehen.

Was bisher geschah...

Der Prozess, die Friedrichsstraße autofrei zu machen, begann lange bevor der Verkehrsversuch öffentlich angekündigt wurde und kontroverse Debatten den öffentlichen Diskurs in den Medien prägten. Bereits seit einigen Jahren ist die Zukunft der Friedrichstraße, insbesondere im derzeit autofreien Abschnitt, ein präsentes Thema für den Bezirk Mitte und dessen Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel. Sinkende Umsätze und eine sinkende Passant*innenfrequenz stellen viele der ansässigen Unternehmen vor große Herausforderungen, sodass bereits 2018 Überlegungen zur Schließung der Galeries Lafayette bekannt wurden. Gleichzeitig rückt der Wunsch nach autofreien Innenstädten immer mehr in den Vordergrund der Debatte um zukunftsfähige Städte und spielte auch im Vorfeld der Senatswahl 2016 immer wieder eine Rolle. Nach der Senatswahl gingen die SPD, die Partei Bündnis 90/Die Grünen und die Partei Die Linke eine Regierungskoalition ein. Regine Günther von Bündnis 90/Die Grünen wurde daraufhin Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz im Berliner Senat und damit unter anderem zuständig für die Friedrichstraße. Im Koalitionsvertrag wurde eine erste Grundlage für das Mobilitätsgesetz geschaffen. Dies wurde maßgeblich vorangetrieben durch den Volksentscheid Fahrrad Berlin. Die Gruppe um den Volksentscheid Berlin nannte sich kurz darauf in Changing Cities e.V. um. Ziel der Gruppe ist es, langfristig autofreien bzw. verkehrsberuhigten Innenstädten den Weg zu ebnen. Stefan Lehmkühler, ein Mitglied von Changing Cities e.V. hat sich dabei insbesondere auf eine autofreie Friedrichstraße fokussiert. Nachdem die Gruppe zunächst den formalen Weg gegangen ist und an regelmäßigen Treffen der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) teilnahm, änderte sie den Kurs und vernetzte sich mit den Anrainer*innen in der Friedrichstraße. Eine Befragung der Passant*innen und Anrainer*innen zeigte die hohe Unzufriedenheit der lokalen Akteur*innen. Genannt wurden vor allem Leerstand, mangelnde Aufenthaltsqualität und eine geringe Passant*innenfrequenz als die größten Herausforderungen. Auf Basis dieser Befragung erarbeitete Changing Cities e.V. 2019 das Konzept „Friedrichstraße – Straße der Zukunft“ woraufhin im Oktober 2019 eine autofreie Wochenendveranstaltung stattfand. Nach dieser Veranstaltung waren sich Changing Cities e.V., der Bezirksbürgermeister Stefan von Dassel sowie die Senatorin Regine Günther einig, dass in der Friedrichstraße für das Vorhaben ein großes Potenzial besteht. Demzufolge ordnete Regine Günther den Verkehrsversuch an. So bekam der im Januar 2020 neu eingestellte Leiter für Verkehrsmanagement bei der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klima, Christian Haegele von der Verkehrssenatorin Regina Günther die Aufgabe, sich des Themas anzunehmen. Während beim Senat die Verantwortlichkeit für die Umsetzung des Verkehrsversuchs, und damit beispielsweise für die Verkehrszeichen lag, befasste sich der Bezirk mit der Gestaltung der autofreien Zone, beispielsweise durch Sitzmöbel, Bäume und Schaukästen für die Anrainer*innen. Hilfreich bei diesen Umsetzungsschritten war stets das von Changing Cities e.V. erarbeitete Konzept. Nachdem sich die Eröffnung aufgrund der Corona-Pandemie verzögerte, wurden im August 2020 schlussendlich die Barken aufgestellt und der Abschnitt der Friedrichstraße für sechs Monate für autofrei erklärt. Eine detaillierte Darstellung des Prozesses und der beteiligten Akteure sind in den beiliegenden Abbildungen verdeutlicht.

Wer macht Stadt?

Das Besondere an dem Prozess, der schlussendlich zu dem Verkehrsversuch autofreie Friedrichstraße führte, ist wohl das Zusammenspiel der verschiedenen beteiligten Akteure. Auf verschiedenen Ebenen der Politik, der Verwaltung und der Zivilgesellschaft arbeiteten unterschiedliche Positionen gemeinsam für ein übergeordnetes Ziel und zeichneten sich im gesamten Prozessverlauf durch eine hohe Experimentierfreudigkeit und Innovationsbereitschaft aus. Maßgeblich vorangetrieben wurde das Modellvorhaben durch das Engagement der Zivilgesellschaft durch den Changing Cities e.V., die zum einen kontinuierlich politischen Druck ausgeübt haben, zum anderen aber auch durch die Konzepterstellung oder den Verkehrszeichenplan konstruktive Umsetzungspläne lieferten. Teilweise langwierige Verwaltungsprozesse konnten dadurch verkürzt werden. Die zivilgesellschaftlichen Impulse konnten jedoch nur eine solche Wirkkraft entfalten, da sie mit dem Zeitgeist und dem Willen der politischen Entscheidungsträger*innen und Verwaltungsbeamt*innen des Bezirks sowie des Senats übereinstimmten. Auf bezirklicher Ebene wurde sich schon lange um die Zukunft der Friedrichstraße gesorgt, die möglicherweise auch mit unkommerziellen Mitteln gesichert werden sollte. Sowohl auf bezirklicher als auch auf Senatsebene bestand das Interesse, Verkehrswende in Berlin erlebbar zu machen. Die Impulse des Changing Cities e.V. trafen also auf offene Ohren. Doch erst durch die entschlossene Anordnung der Senatorin, eine dem Verkehrsversuch positiv gestimmten Verwaltung, sowie durch das experimentierfreudige Handeln des Bezirksbürgermeisters, das den üblichen Verfahren des “Stadt-Machens” an einigen Stellen widersprach, konnte der Verkehrsversuch tatsächlich umgesetzt werden.